Seit 2008 beschäftige ich mich intensiv mit Mystery Shopping, denn Testkäufe sind eine ausgesprochen spannende Geschichte, sowohl aus der Perspektive des Praktikers als auch aus der Perspektive des Marktforschers. Fangen wir doch mit letzterer einmal an. Als ich im Jahre 2008 meine ersten Testkäufe im Automobilhandel durchgeführt habe, wollte ich herausfinden, welche Verkaufskompetenz die Autohändler mitbringen. Um mich auf diese Aufgabe optimal vorzubereiten und um selbstverständlich einen standardisierten Bewertungsbogen zu entwickeln, vergrub ich mich intensiv in meine ganzen Unterlagen zum Thema Verkaufsgespräche, Verhandlungstechniken und Gesprächsführung. Zudem integrierte ich noch meine Erfahrungen aus meiner Vertriebsvergangenheit bei der Siemens AG. Daraus entstand ein solider Ansatz, um nicht nur theoretisch – und jetzt sind wir auch bei der zweiten Perspektive – sondern auch praktisch festzustellen, wie gut die Autohändler wirklich verkaufen können. Die Ergebnisse waren für diese Berufsgruppe nicht gerade schmeichelhaft, wie meine Beiträge zu diesem Thema zeigten.
Zum Abschluss der Untersuchung lud ich jedes Unternehmen nach Deggendorf ein, um einen Blick in die Untersuchungsergebnisse zu werfen, im Rahmen einer Präsentation der gesamten Studie. Interessanterweise war vorrangig nur diejenigen anwesend, die gut abgeschnitten haben. Der Rest glänzte durch Abwesenheit. Diejenigen, die gut abschnitten, gaben mir das Feedback, dass sie mit dieser Studie in der Praxis mehr anfangen können, als mit den Ergebnissen der Hersteller-Mystery-Shopping-Studien. Dies machte mich natürlich neugierig und ich besorgte mir ein paar typische Bewertungsbögen aus der Automobilindustrie und war gelinde überrascht, als ich mir die Inhalte näher ansah. Nicht positiv, eher negativ.
Die Bewertungsbögen der Profis sind viel zu undifferenziert
Der größte Teil der der Bewertungskriterien lässt viel zu großen Interpretationsspielraum, ohne eine konkrete Anleitung, welcher Standard erwartet wird. Nehmen wir doch als Beispiel den Punkt „aktive Einbindung in die Präsentation des Fahrzeugs“ her. Dieser Vorgang kann folgendes beinhalten:
- Der Verkäufer hat den Testkunden gefragt, ob er im Auto Platz nehmen möchte (der einzige Hinweis, der sich im Bogen findet). Keine besonders herausragende Leistung des Verkäufers, eher der unterste Standard.
- Es könnte aber auch folgendes bedeuten: dass der Verkäufer den potentiellen Käufer gefragt hat, welches Auto im Verkaufsraum denn überhaupt infrage kommt, mit ihm durchgegangen ist, welche Ausstattungsvarianten infrage kommen. In diesem Fall hätte er den Kunden aktiv in seine eigene Gesprächsführung eingebunden. In diesem Falle wäre es schon ein recht guter Verkäufer gewesen.
- Aber wenn er richtig top wäre, dann würde er folgendes machen: den Kunden auf den Fahrersitz setzen, ihn fragen, mit welchen Ausstattungen er sich schon auskennt und welche er nicht kennt und dann in einem Frage-Antwort-Spiel die einzelnen Features erklärt, vorführt und den Kunden selber mit dem Produkt spielen lässt. Das wäre wirklich gut.
In gleicher Art und Weise könnte ich den Rest der Fragebögen durchgehen. Dies erklärt auch die Enttäuschung einiger Händler, die sagten, dass sie bei den Hersteller-Mystery-Shoppings immer sehr gut abschneiden würden, ganz im Gegensatz zu meiner Studie. Eigentlich klar, wenn ich nicht zwischen Mindeststandard und sehr guter Leistung unterscheide und wenn ich in keinster Weise den wirklichen Kern eines Verkaufsgesprächs beleuchte, denn die Bewertungskriterien deckten nur den einseitigen, monologartigen Informationstransfer ab. Und ich wunderte mich immer, wieso ich von den meisten Verkäufern eine 20-Minuten-Ansprache ohne Punkt und Komma bekam. Sie wird durch die Bewertungsbögen der Hersteller geradezu gefördert.
Abgesehen von dieser methodischen Fehlerhaftigkeit gibt es noch ein weiteres Problem, die Ausbildung der Testkäufer. Ich glaube nicht, dass es viel Testkäufer gibt, die sich vor jedem Auftrag intensiv theoretisch und praktisch mit der Aufgabenstellung beschäftigen. Für 10 €-50 € pro Testkauf ist das einfach finanziell nicht darstellbar.
Nachdem ich diese Restriktionen nicht hatte, habe ich aufgrund der Erfahrungen meiner Autohändlerstudie sukzessive das Konzept erweitert und zu einem praxisorientierten Marktforschungsansatz weiterentwickelt, der deutlich höhere Aussagefähigkeit besitzt als ein klassischer 08/15 Standardansatz. Dazu mehr in den nächsten Wochen. Stay Tuned.
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