Produkt-Nerds at Work: die verschenkten Chancen bei der Markteinführung eines innovativen Produktes.

Gestern habe ich den Produkt-Nerd vorgestellt. Eine ganz und gar fiktive Person? Nein, es gibt tonnenweise Werbungen, die von diesen Nerds entworfen und freigegeben werden. Dazu ein Beispiel. Die Firma New Balance brachte vor einigen Jahren einen neuen Laufschuh auf den Markt: den New Balance Minimus. Ein innovatives Laufschuhkonzept für die Zielgruppe der ambitionierten Läufer. Sehen wir uns doch zuerst das Video an:

Betrachten wir zuerst den wichtigsten Dreh- und Angelpunkt, die Zielgruppe. Mir ist bei diesem Video nicht ganz klar geworden, wer nun eigentlich der Adressat sein soll. Als Testimonial wird ein Wahnsinniger (läuft seit seinem zwölften Lebensjahr Marathons) dargestellt, der (aufgrund der Kommentare auf der YouTube-Seite) andere Wahnsinnige anspricht, die gerne mit nacktem Oberkörper durch die Wälder joggen würden, sich wahrscheinlich aber nicht trauen. Für mich als ambitionierten Durchschnittsläufer ist die Präsentation des Schuhs viel zu weit weg von dem, was ich unter Laufen verstehe. Darüber hinaus merkt man ganz deutlich, dass die Marketer Amerikaner sind, denn den schwer verständlichen Slang von Anton Krupicka muss man sich schon mehrere Male gönnen, um den Inhalt zu verstehen. Aber zurück zum eigentlichen Kern des Werbevideos.

Die Philosophien über das Laufen und die Erläuterung der Vorteile des New Balance Minimus sind optisch sehr schön eingefangen, aber die Marketer waren wahrscheinlich so von den Möglichkeiten des Schuhs begeistert, dass ihnen nicht in den Sinn gekommen ist, dass man auch (gerade bei Innovationen) die Bedenken der Käufer entkräften muss. Eine meiner Studentinnen hat in ihrer Bachelorarbeit ambitionierte Läufer zu den Bedenken befragt, die sie vor dem Kauf eines solchen Laufschuhs hätten. Abgesehen davon, dass viele dieses Konzept nicht kannten, wurde sehr oft die fehlende Dämpfung des Schuhs mit anschließenden Problemen genannt.

Hier wäre eine Sequenz angebracht, die potentielle Kunden darauf hinweist, dass bei richtiger, behutsamer und langsamer Gewöhnung an den Schuh eben keine Probleme auftreten. Die Aussagen dagegen konzentrieren sich (typisch amerikanisch) auf Superlative. Die Sequenzen zum Schluss (gesundes Leben) mögen vielleicht einen Teil der Zielgruppe ansprechen und sind für das Ambiente wichtig, aber da hätte man die vorher genannten Argumente einbauen können. Auch die Lobhudeleien zur Firma New Balance am Ende hätte man sich sparen können, denn ein Athlet wird immer nur toll über die Firma sprechen, die ihn sponsert.

Nur am Rande: ich habe mir trotz einiger Vorbehalte einen solchen Laufschuhe gekauft und bin mit ihm mehr als zufrieden, allerdings aber nur nach einer fachmännischen Beratung in meinem Laufgeschäft. Das Werbevideo habe ich erst viel später gesehen. Interessanterweise habe ich mit diesen Schuhen weniger Probleme mit meinen Gelenken gehabt als mit den klassischen Tretern.  Dieses Argument findet sich jedoch überhaupt nicht im Video.

Zusammenfassung: man hätte deutlich mehr aus der Idee machen können. Beispielsweise hätte sich Anton Krupicka mit einem ambitionierten Durchschnittsläufer im zweiten Teil des Videos unterhalten können, um ihm die orthopädischen wie sportlichen Vorteile des Schuhs zu erzählen. Dann hätte ich alle Zielgruppen adressiert, nicht nur die Durchgeknallten.

Abgesehen davon sind die Füße von Anton Krupicka (bei Sekunde 6) nicht so vorzeigbar, dass man sie dem Rest der Welt muss.

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