Tiefeninterviews zum Thema Krebsvorsorge oder das Testen von Bedürfnisstrukturen mit Hilfe einfacher Methoden der qualitativen Marktforschung.

Letzte Woche habe ich ganz kurz meine eigene Vorstellung zur Bedürfnisgenerierung für
Vorsorgemaßnahmen skizziert. Aber wie schon an dieser Stelle bemerkt, ist es nur die halbe Wahrheit, wenn man den eigenen Gedanken folgt und sich nicht die Mühe macht, sich ein Feedback von der Zielgruppe abzuholen. Daher könnte dieser Beitrag auch unter der Überschrift „Marktforschung leicht gemacht“ laufen. Ich bin der Meinung, dass es in jedem Fall vor dem Einstieg in die Entwicklung einer Kreatividee Sinn macht, eine kurze Validierung der eigenen Gedanken einzuschieben – eine umfangreichere bei großen/wichtigen Projekten. Im Fall dieses Cases habe ich meine eigenen Hypothesen zur Bedürfnisstruktur von Männern bezüglich Krebsvorsorgemaßnahmen auf den Prüfstand gestellt, um herauszufinden, ob ich richtig oder falsch liege.

Wie habe ich das gemacht? Ich führte zehn einfache, qualitative Tiefeninterviews mit
Zielgruppenmitgliedern, flankiert von einigen Expertengesprächen mit Ärzten. Den Interviewpartnern wurden drei einfache Fragenkomplexe gestellt, die den Einstieg in eine lebhafte Diskussion ermöglichen sollten. Hat ganz gut funktioniert. Man bezeichnet dies als qualitative, semi-strukturierte Interviewtechniken. Ziel ist es nicht, eine statistische Signifikanz (X Prozent der Befragten waren der Meinung…). Vielmehr soll durch die anregende Diskussion ein Einstieg in die Gedankengänge der Zielgruppe erreicht werden. Die Fragen waren:

  1.  Nehmen Sie Krebsvorsorgemaßnahmen in Anspruch? Welche?

  2. War dies eine emotionale oder eine Vernunftentscheidung? Was war der Anstoß für diese Entscheidung?

  3. Nutzen Sie intensiv Informationsquellen im Internet? (Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?) Überzeugen Sie diese Quellen?

Vielleicht mag jetzt der eine oder andere denken, dass zehn Interviews noch lange nicht ausreichend sind, um eine valide Aussage über die Bedürfnisstrukturen der Zielgruppe zu treffen. Die Antwort ist ziemlich undifferenziert: Ja und nein. Nein, wenn man eine statistisch signifikante Aussage über die gesamte Zielgruppe treffen möchte, dazu ist dieses Instrumentarium nicht geeignet. Ja, wenn man feststellt, dass die eigenen Hypothesen durch die Interviews bestätigt werden. In diesem Falle hat man immer noch die Möglichkeit, bei wichtigen Werbemaßnahmen eine quantitative Untersuchung nachzuschieben.

Warum bin ich der Meinung, dass 10 in diesem Fall vollkommen ausreichen? Es kristallisierte sich schon nach dem dritten Interview relativ schnell ein Muster heraus, dass durch die restlichen sieben immer wieder bestätigt wurde, so dass eine qualitative Sättigung erreicht wurde und keine zusätzlichen Interviews mehr notwendig waren. Hätte dagegen der 5., der 6., der 7., etc. Interviewpartner wieder ein vollkommen anderes Entscheidungsmuster als alle davor präsentiert, wären 10 deutlich zu wenig gewesen. Aufgrund des Musters, dass ich weiter unten beschreiben werde, konnte bei dieser Zahl beruhigt gestoppt werden.

Kurz zur Zusammensetzung der Interviewpartner: Sieben nehmen regelmäßig Vorsorgemaßnahmen in Anspruch, einer ist mitten in der Vorbereitungsphase. Beeindruckend. Zwei nahmen keine Vorsorgemaßnahme in Anspruch, bei einem wurde Darmkrebs in einem sehr ernsten Stadium entdeckt. Es folgte eine Operation und eine Chemotherapie, er ist wieder gesund.

Beginnen wir mit den beiden Dimensionen der Bedürfnisgenerierung (Fragenkomplex 2): Erkennung eines Problems und Entwicklung eines Wunsches/einer Begehrlichkeit. Bis auf die beiden Vorsorge-Verweigerer sagte die überwiegende Mehrheit übereinstimmend, dass der ganze Entscheidungsprozess durch Krebserkrankungen und/oder Todesfälle im Kreise der Familie bzw. im Freundeskreis ausgelöst wurde.

Diejenigen, die nicht über diesen Anstoß in das Thema eingestiegen sind, trafen eine
Vernunftentscheidung, gewissermaßen der einfachen Logik folgend: ich habe jetzt das richtige Alter erreicht und werde Vorsorgemaßnahmen treffen, weil ich länger und gesund leben will. Respekt, da war ich weit davon entfernt.

Interessant waren auch die Aussagen zu den Ängsten: kaum einer nannte die Untersuchung als Ursache für die Angst, wenn überhaupt, dann kamen zwei Hinweise, dass unterschwellig eine Angst hinsichtlich möglicher negativer Ergebnisse existierte. Für die überwiegende Mehrheit empfinden die Untersuchungen im Spektrum etwas bis arg unangenehm,  sie sind aber ein notwendiges Übel auf dem Weg zu einem besseren Leben und werden daher in Kauf genommen. Das nicht vorhandene Bedürfnis bei den beiden Interviewpartnern, die keine Vorsorgemaßnahmen in Anspruch nahmen, begründete sich dadurch, dass im Kreise der Bekannten und der Familie keine Krebsfälle in der Vergangenheit auftauchten. Damit gewissermaßen irrelevant.

Interessant für mich persönlich war aber, dass bis auf einen Interviewpartner die verfügbaren Informationsquellen ignoriert wurden, verbunden mit der Aussage: ich mache mich doch nicht selber verrückt. Oft auch kombiniert mit dem Hinweis, man vertraue dem Hausarzt, Internisten, etc. mehr, vor allem wenn er vernünftig ist. Ein Interviewpartner gab dagegen an, dass die angebotenen Informationen, gerade im Internet, sehr hilfreich für die eigene Entscheidungsfindung gewesen sein. Er bezeichnete sich aber auch selbst als Informationsstaubsauger.

Kurze Zusammenfassung: die Entscheidungsfindung geht stark über hochemotionale Erlebnisse, gespickt mit einer guten Portion Vernunft und dem Willen, wirklich etwas für sich und seine Gesundheit zu tun. Die ganzen Informationsportale spielen bei der überwiegenden Mehrheit überhaupt keine Rolle, die Ablehnung begründet sich sehr oft durch die dargestellten Horrorszenarien, Abbildungen von Krebsformen und Beschreibungen von Biopsien/Untersuchungsmethoden. Ich kann nur empfehlen: geht es Ihnen zu gut, sehen Sie sich mal die Beschreibung einer Prostatabiopsie an.

Im wesentlichen wurde meine Struktur bestätigt, allerdings hatte ich die große Rolle der Familie und des Freundeskreises nicht auf dem Schirm. Auch ein wichtiger Punkt: stelle die Untersuchung nicht in den Mittelpunkt, das kann aufgrund der Ressentiments der Zielgruppe schnell in die Hosen gehen. Gerüstet mit diesen vielen verschiedenen Informationen kann ich jetzt sowohl meiner Kreativität als auch meiner satirischen Ader wieder freien Lauf lassen und die Informationen, Werbungen, etc. genauer unter die Lupe nehmen und feststellen, inwieweit diese Werbeform die Adressaten dazu bewegt, eine Verhaltensänderung anzustoßen, die Ängste zu überwinden und eine Vorsorgemaßnahme in Anspruch zu nehmen.

Nur am Rande: interessant war für mich, dass ich alle Interviews mit 20 min Zeitbedarf ankündigte, daraus aber teilweise mehr als eine Stunde wurde. Wir tauschten Erfahrungen, Erkenntnisse und Erlebnisse aus. Ich lernte viel neues dazu, vor allem, dass bei diesem Thema doch ein großer Gesprächsbedarf bei Männern da ist. War spannend. Stay tuned.

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